Erinnern Sie sich noch an eine alte Waage? An die analogen, mit zwei Schalen um die Masse zu vergleichen? Es war schwierig, sie in Balance zu bekommen. Ich erinnere mich, dass ich als Kind gerne damit spielte und es immer wieder versuchte. Mal mit den dazugehörigen Gewichten, mal mit Dingen, die fand. Ich brauchte viel Konzentration dafür. Es waren oft Nuancen und ging nur mit ganz ruhiger Hand und großer Gelassenheit, um zu erkennen, was sich in den Schalen ergänzte. Und wehe es störte mich jemand dabei oder brachte den Tisch zum Wackeln…
Ich vergleiche heute die Arbeit in Ihrem Team, Ihrer Abteilung mit dieser Waage.
Sie müssen als Führungskraft immer wieder die richtige Mischung finden zwischen fördern und fordern, und das für jede Einzelne, für jeden Einzelnen in Ihrem Team. Und das ist nur die Hälfte der Herausforderung! Sie haben es ja mit einer dreidimensionalen Waage zu tun, denn Ihr Handeln hat immer auch Auswirkungen auf die Dynamik im Team, also zwischen den Kollegen.
Das Fördern:
Fördern Sie eine Person sehr intensiv, bekommt diese Person eine Sonderposition im Team. Sie fühlt sich in der Kronprinzen- bzw. Kronprinzessinnen-Rolle und reagiert entsprechend auf die Kolleginnen und Kollegen. Dies ist ein sicherer Weg zu Turbulenzen im Team. Die anderen fühlen sich zurückgesetzt, weniger beachtet und geschätzt. Es kann ja von Ihnen beabsichtigt sein, dass Sie einen Nachfolger aufbauen oder jemanden für eine andere Aufgaben geeignet halten. Dann ist es am besten, wenn Sie dies offen machen und die Kriterien dafür transparent benennen. Allerdings kann auch passieren, dass Sie eine Person sehr fördern und diese sich Ihrer Zuwendung so sicher ist, dass sie sich zurücklehnt und einen Gang runterschaltet. Sollte es sich so entwickeln, kann sich schnell im Team breit machen, dass persönliches Engagement und Kompetenz sich nicht lohnen, sondern nur die besondere Nähe zum Chef Anerkennung findet.
Wenn Sie Ihre Leute zu wenig fördern, macht sich schnell das Gefühl breit, nicht wahrgenommen zu werden und als Mitarbeiter nicht die angemessene Rückendeckung des Chefs zu haben. Wenn Sie Leistung von Ihren Mitarbeitern erwarten, ist immer auch die Frage, was diesen Energie gibt. Die Gehaltsüberweisung ist es nicht (allein). Sicherlich kann auch eine attraktive Weiterbildung oder ein neues interessantes Projekt die Kompetenzen fördern und dem Mitarbeitenden gut tun. Aber in erster Linie heißt es, nah am Mitarbeiter zu sein, um mitzukriegen, was er oder sie braucht. Und diesen dann, auch manchmal ein bisschen mütterlich und väterlich zu unterstützen.
Das Fordern:
Wenn Sie sich nun die Waagschale mit dem Fordern ansehen, hat auch hierbei das Zuviel und das Zuwenig Auswirkungen auf die Balance.
Sind Sie ein Chef, eine Chefin, die viel fordert, werden sich manche Mitarbeitenden in Ihrem Team bereitwillig der Herausforderung stellen. Es sind die Typen, die Spaß daran haben, an die eigenen Grenzen zu gehen, die sportlichen Ehrgeiz entwickeln. Andere dagegen fühlen sich schnell überfordert und gestresst. Sie sehen vor lauter Wald die Bäume nicht mehr. Sie wissen nicht, wie sie im Tiefsten mit ihrer Angst vor dem Versagen umgehen sollen.
Sicherlich sind in Ihrem Team auch diese beiden Persönlichkeitstypen vertreten. Zwischen ihnen kann sich schnell ein Spiel entwickeln, das heißt: Wer arbeitet hier besser und wer schlechter? Wenn Sie nicht intervenieren, können zum Beispiel gegenseitige Abwertungen das Klima Ihres Teams vergiften.
Ja, und dann ist noch die Frage, was bei Menschen passiert, die zu wenig gefordert werden. Es gibt inzwischen die Überlegung, dass am Arbeitsplatz nicht nur die Gefahr des Ausbrennens, das Burnout, besteht, sondern auch das Gegenteil möglich ist: sich bei der Arbeit endlos zu langweilen, genannt Boreout.
Menschen, die nicht gefordert werden, entwickeln je nach ihrer Anlage verschiedenste Verhaltensweisen, die weder für ihre Arbeit noch für das Zusammenwirken im Team konstruktiv sind. In der Regel fühlen sie sich nicht gesehen und ernstgenommen. Sie identifizieren sich immer weniger mit ihrer Arbeit, dem Team und der Firma. Sie haben keine Lust mehr mitzudenken und entwickeln die Arbeitshaltung „Dienst nach Vorschrift.“ Irgendwann besetzen diese Menschen zwar Tag für Tag ihren Arbeitsplatz, doch sie füllen ihre Arbeit nicht mehr mit Herz und Kopf.
Die hohe Kunst: Das Gleichgewicht
Es ist eine hohe Kunst im Führungsalltag, die beiden Schalen der Waage „Fördern und Fordern“ im Gleichgewicht zu halten. Es erfordert von Ihnen als Führungskraft immer wieder die Bereitschaft genau hinzuhören, was der einzelne sagt und hinzuschauen, was er oder sie tut. Und dann im Blick zu behalten, wie die Balance in der Gruppe sich zeigt und wie sich die gemeinsame Arbeitsfähigkeit entwickelt.
Die Weiterentwicklung von Menschen lebt von der Balance der beiden Pole Fördern und Fordern. Oder auch den angemessene Prisen von Anerkennung und von kritischer Rückmeldung. Und beide Ansätze braucht auch Ihr Team, um sich den täglichen Anforderungen zu stellen, um lebendig und flexibel zu bleiben.
Und stellen Sie sich selbst immer wieder die Frage, warum Sie diesen Menschen in besonderer Weise fördern oder fordern. Geht es um diesen Menschen und sein Potential, geht es um das Arbeitsergebnis im Team und der Abteilung? Oder in wieweit geht es auch um Ihr persönliches Ego? Inwieweit „benutzen“ diesen Menschen für sich und Ihre Anliegen? Ich weiß, dies ist keine bequeme Frage. Diese muss aber sein, wenn Sie auf Dauer eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Ihren Mitarbeitenden gestalten wollen.
(Bild: «Antique scale and kitchen items» by Thomas Quine via flickr, CC BY 2.0, no changes)