Ein digitales Gespräch zwischen Lioba Heinzler, moewe Beratung in der Arbeitswelt (Wuppertal, moewe-team.de), und Meike Kranz, 123effizientdabei.de aus Hannover.
Themen rund um die Arbeitswelt eint die beiden Gesprächspartnerinnen – hier lesen Sie unser Gespräch.
Meike Kranz: Viele Unternehmen stehen vor einer neuen Herausforderung: Sie kommen nicht mehr darum herum, sich mit dem digitalen Wandel auseinanderzusetzen. Durch die Digitalisierung müssen sie schneller und flexibler auf Kundenwünsche reagieren. Sie sind gefordert innovativ zu sein und das bei steigender Komplexität. Andererseits dürfen sie ihr Kerngeschäft mitsamt den etablierten Prozessen und Vorgehensweisen nicht vernachlässigen. Wie können sich die Mitarbeiter und Führungskräfte in diesem Zwiespalt zurechtfinden? Ein traditionelles Familienunternehmen wird ja nicht von heute auf morgen zu einem Startup-Unternehmen, wie es sie im Silicon Valley gibt.
Lioba Heinzler: Oh ja, genau das beobachte ich auch in vielen Unternehmen. Die Abläufe sind super optimiert und die Prozesse stehen. Jede und jeder weiß, was zu tun ist. Damit waren und sind viele auch sehr erfolgreich. Allerdings fällt mir in der Arbeit mit den Führungskräften und Teams auf, dass sie keine Übung haben, Ideen zu entwickeln, wie es anders gehen kann. Es gibt nur in wenigen kleineren und mittlernen Firmen Zeit und Energie für die kreative Weiterentwicklung, für Innovationen. Dabei denke ich nicht an die Größenordnung „Forschungsabteilung“, sondern eher an das alltägliche Quer- und Andersdenken.
Denn es ist völlig klar: Das momentane Geschäft und die heutigen Abläufe sind nicht für die Ewigkeit. Jeder rollt die Augen bei dem Satz: „Das haben wir immer schon so gemacht!“ und gleichzeitig gibt es keine Kultur des Ausprobierens, das heißt auch des Fehlermachens. Beweglichkeit in den Köpfen und Flexibilität im Verhalten sind uns Menschen angeboren. Wie alle Fähigkeiten brauchen sie ein regelmäßiges Training, um uns im Alltag zur Verfügung zu stehen.
Meike Kranz: Ich denke, Sie sprechen einen ganz wichtigen Punkt an: Es fehlt die Zeit und die Energie für eine Weiterentwicklung. Wann nimmt sich ein Mitarbeiter, eine Führungskraft oder auch das gesamte Team einmal die Zeit, die eigene Arbeitsweise zu überdenken und an aktuellen Entwicklungen anzupassen? Das Tagesgeschäft geht immer vor. Dabei wäre es sinnvoll dies zu tun, ganz im Sinne des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP).
Einerseits wird Routine als negativ eingeschätzt, andererseits gibt sie auch Sicherheit. Wenn sich etwas ändert, verlässt man die ausgetretenen Pfade und dann kann es natürlich auch zu Fehlern kommen. In dem Moment kommt es auf die Unternehmens- bzw. Fehlerkultur an: Wird bei einem Fehler nach dem Schuldigen gesucht, oder sieht man die Chancen, die sich daraus ergeben? Eine kreative Weiterentwicklung ist also nur möglich, wenn ein paar Rahmenbedingungen stimmen. Ein wichtiger Faktor ist meines Erachtens die Fehlerkultur. Aber auch, dass der Mitarbeiter selbst nach einer innovativen Idee sucht und nicht die Neuerung von einem externen Berater vorgesetzt bekommt. Außerdem fällt es leichter, regelmäßig kleine Änderungen vorzunehmen, statt die eine große Veränderung umsetzen zu wollen. Welche Rahmenbedingungen sind aus Ihrer Sicht wichtig?
Lioba Heinzler: Als wichtigsten Aspekt sehe ich die Klarheit: Um was geht es jetzt genau? Um „Abarbeiten“ und „Wegschaffen“ des Tagesgeschäfts? Oder um Innehalten und Nachdenken, was gut lief und wo Verbesserungspotential liegt? Oder geht es darum, aus den Erfahrungen und der Reflexion darüber eine neue Idee zu entwickeln, daraus ein Ziel und eine Strategie zu planen, bevor ich wieder beginne zu handeln? Kurze Absprachen im Tagesgeschäft eigenen sich nicht, Grundlegendes zu besprechen.
Umgekehrt gibt es sehr wohl Firmen und Organisationen, die sich Zeiten für Meetings nehmen. Doch besprochen werden oft nur die Kleinigkeiten des Alltags, weil viele von den Führungskräften nicht wissen, wie man die größeren und grundlegenden Themen konstruktiv und fürs Team bereichernd angeht. So wie für die Verwaltung, die Technik und die Produktion professionelles Know-how nötig ist, braucht es auch für diese Prozesse und diese Form Kommunikation professionelles Handwerkzeug in erster Linie für die Führungskräfte und Teamleitungen, aber auch für die Teammitglieder. Nur irgendwie zusammensitzen und reden ist nicht zielführend.
Also, es braucht Klarheit, welches Thema wer mit wem wann und wie lange bespricht. Oft erweist sich eine Mischung aus einer kurzen, täglichen Stehbesprechungen von 10 bis 15 Minuten, längeren Teammeetings von 90 Minuten alle zwei Wochen, und Klausurrunden zweimal im Jahr von 4 oder 8 Stunden als sinnvoll. Natürlich sind die Dauer und Häufigkeit auch vom Aufgabenfeld abhängig. Und alle Meetings brauchen eine Leitung und verbindliche Regeln: Wenn jeder in der Meetingzeit mit seinem Smartphone beschäftigt ist, alle wild durcheinander reden oder nur einer spricht, dann ist es vertane Arbeitszeit von vielen Mitarbeitenden.
Meike Kranz: Ich bin auch ein großer Freund von täglichen kurzen Besprechungen im Stehen. Das ist ganz wichtig, denn wenn es sich alle im Besprechungsraum erst mal gemütlich gemacht haben, dann bleibt es nicht bei den geplanten 10-15 Minuten. Die zweiwöchigen Teammeetings werden von den Führungskräften auch meiner Erfahrung nach zu wenig für grundlegende Diskussionen und Weiterentwicklung des Teams und der Prozesse genutzt. Stattdessen berichtet jeder Mitarbeiter, an welchen Themen er gerade arbeitet und wie der Stand der Dinge ist.
Ich möchte an dieser Stelle unsere Diskussion kurz zusammenfassen. Die Konzentration auf das Kerngeschäft und optimierte Prozesse sind wichtig für jedes Unternehmen, damit man sich nicht verzettelt und ein hohes Qualitätsniveau erreicht. Dennoch ist es für den dauerhaften Erfolg eines Unternehmens wichtig, die standardisierten Vorgehensweisen zu hinterfragen und an aktuellen Entwicklungen anzupassen. Die Mitarbeiter sollten innovativ sein und sich und das Team weiterentwickeln. Damit dies möglich ist, sollten Rahmenbedingungen geschaffen werden. Dazu gehören Zeit, Raum und die Führungskompetenz des Abteilungs- oder Teamleiters. Der Dienstvorgesetzte von damals ist heute nicht mehr hilfreich.
Lioba Heinzler: Danke, Frau Kranz, für Ihre Zusammenfassung. Für mich bleibt nun die Frage, wie die berechtigten Schlüsse nicht als weitere Forderungen den Arbeitsalltag belasten, im Sinne: „Das sollten wir auch noch tun!“ Mir ist bei solchen Entwicklungen in einer Firma oder in einem Team wichtig, dass sie so angegangen werden, dass sie nicht die – gleichgültig ob gefühlte oder tatsächliche – Überlastung verstärken. Für Menschen ist es leichter, wenn sie das Warum verstehen und über das Wohin eine Vorstellung haben. Dies wären meine ersten Schritte zur Klärung und Vereinbarung.
Im zweiten Schritt würde ich mit den Beteiligten die erste Wegstrecke mit klaren Verabredungen zum Experimentieren überlegen. Es ist für alle einfacher, mit der holprigen Situation umzugehen, wenn klar ist, dass es nun um das Ausprobieren geht und nicht um die perfekte Lösung aus dem Stand. Die es ja auch gar nicht gibt … Wenn es dann in angemessenen Abständen einen gemeinsamen Austausch im Meeting gibt, können Erfahrungen und Ergebnisse ausgewertet und die Strategie angepasst werden. Und dieses Vorgehen macht Besprechungen eindeutig lebendiger, als es das Vortragen der aktuellen Projektliste. Veränderung braucht ein bestimmtes Setting, damit sie nachhaltig gelingt.
Und auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Das Gelingen oder Scheitern hängt wesentlich an der einzelnen Führungskraft und der Führungskultur. Die Anforderungen und Erwartungen an die einzelne Führungskraft haben sich sehr verändert. Die Haltung und das Herangehen des „Dienstvorgesetzten von damals“ ist für solche Herausforderungen nicht mehr hilfreich und ausreichend. Es ist notwendig, dass Führungskompetenz und Führungskultur in einer Firma bewusst weiterentwickelt und gestaltet werden.
Wenn ich mir so unser Gespräch ansehe, dann fällt mir auf, dass wir eine ähnliche Einschätzung haben, was die Bedeutung der beiden Pole „Beweglichkeit contra Struktur“ oder „Veränderung contra Prozesse“ haben. Teilen Sie meine Einschätzung?
Meike Kranz: Ja, da haben Sie wohl recht. Danke für Ihren Hinweis, dass Innovation nicht noch die Überlastung der Mitarbeiter verstärken darf. Umso wichtiger finde ich es, dass die Prozesse im Kerngeschäft optimiert sind, sodass Freiräume für Experimente und neue Herausforderungen entstehen. Wenn dann noch die bereits ausgeführten Rahmenbedingungen bestehen, sollte es in den Unternehmen leicht möglich sein, flexibel auf Kundenanforderungen zu reagieren und innovativ zu sein.
Übrigens: Das Gespräch können Sie nachhören und nachsehen im Kanal von Meike Kranz bei YouTube.
(Bildquelle: «Bewegung» by Chris R. via flickr (CC BY 2.0) – keine Bildbearbeitung | no changes made)